„Der Diabetes-Manager“
FAZ
Biblisches Alter
24. Januar 2006 Kolumne
"Isch des schön"
"Oh, da danke ich Dir für die schönen Rosen", sagt die Tante, blickt kurz auf die Blumen, sagt dann, bevor sie in die Kamera lächelt, "zwölf Stück, welche Freude". In Windeseile einen Rosenstrauß gezählt, an sich nichts besonderes. Oder doch? Doch: Es war der 102. Geburtstag von Tante Bertha, die in Fellbach bei Stuttgart immer noch in ihrem kleinen Häuschen wohnt, in dem sie schon seit Jahrzehnten lebt.
Hof hält die Tante an ihrem Geburtstag, genießt den Trubel mit Verwandten und ihren Freundinnen, plaudert entspannt mit dem Bürgermeister, der sie eine Stunde lang besucht. Und findet auch Zeit für ein "Mensch ärgere Dich nicht", wo sie sich keinen Augenblick darüber ärgert, daß die eine Freundin ab und zu ein wenig mogelt.
Noch bis vor rund vier Jahren ist die Religionslehrerin, die wie ich aus Lörrach stammt, sogar täglich zum Einkaufen in die nahen Geschäfte gelaufen! (sie fuhr nie Auto), hat Brot gekauft, war stundenlang im Buchladen. "Meine allerliebste Kundin", schwärmt die Buchhändlerin. Heute hat sie eine Hilfe, läßt es sich aber nicht nehmen, immer noch durch die Wohnung zu laufen und wenn sie draußen im Rollstuhl sitzt, sagt sie "Da geht's lang".
Sie wollen wissen , wie auch Sie ein biblisches Alter glücklich erreichen? Hier einige Wegmarken: "Von dem Garten zehre ich bis heute", erzählt sie mir. In dem Garten hinter dem Häuschen hat sie bis vor kurzem ihr Gemüse angebaut, ihre Kräuter gezogen. Und sie hat jeden Tag selbst gekocht. Gesund gegessen hat sie und auch der Seele Nahrung gegeben: Täglich in der Bibel gelesen, immer wieder wunderbare Gedichte für Nichten und Neffen verfaßt - und sie auch selbst vorgetragen.
Total vergeistigt, also? Nein täglich hat sie auch die Stuttgarter Zeitung gelesen, wußte Bescheid, was passiert. Aber ihr Elixir war die Musik. Bis ins 98. Lebensjahr begleitete sie in der evangelischen Gemeinde die Choräle auf dem Klavier und mit unermüdlicher Geduld spielte sie Hausmusik, mit den Geübten, aber genauso mit den weniger Geübten.
Freudiges Ritual war der sonntägliche Kirchgang für die Tante, die nie groß aus Fellbach herausgekommen ist. Und wenn, dann waren es Festtage, an die sie sich jahrelang erinnerte. Einmal hatte ich sie an Weihnachten mit ins heimische Markgräflerland genommen. Es war ein schöner Winterabend mit prächtigem Sonnenuntergang. "Weißt Du noch, wie damals die Sonne so schön untergegangen ist", erzählt sie mir immer wieder.
Drei Sätze sind es, die sie immer wieder sagt: "Isch des schön" und "Es geht mir schon wieder e bissle besser" und "Ich habe eine große Freude". Es ist dieses Ruhen in sich, das ihr die Kraft gibt. "Ein wenig sind´s die Gene", meint ihr Arzt, "aber das meiste kommt von Innen".
Natürlich kam im hohen Alter auch mal der Zucker. Zuerst mit Insulin behandelt, merkte der kluge Arzt bald, daß Tante Bertha, von der ich das wunder-bare Buch "Nutze die Heilkraft unserer Nahrung" habe, es auch so hinkriegt. Sind die Werte ein wenig zu hoch, wird mal ein Dessert weggelassen, der Honig dünner aufgetragen - und schon geht´s wieder, der Alterszucker als freundlich mahnender Begleiter des Alters.
"Laß nichts Böses in Deinen Gedanken sein", sagt Konfuzius. Der praktische Arzt aus dem Schwäbischen sagt´s etwas pragmatischer: "Nörgler werden nicht alt".
Hans Lauber, 24. Januar 2006
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