„Der Diabetes-Manager“
FAZ
Er starb, wie er lebte: Zufrieden
6. August 2008 Kolumne
Danke, Vater
„Zuckerrunden“ mit dem Rollator: Kurt Lauber
„Zuckerrunden“ mit dem Rollator: Kurt Lauber
Erst als er tot war, merkte ich, wem ich die Kraft für die Entwicklung meiner Lauber-Methode verdanke: Meinem Vater. Denn er meisterte eine schwere körperliche Behinderung mit Energie und positivem Denken – genau die Einstellung, mit der es auch mir gelungen ist, einen schon manifesten Lifestyle (Typ2)-Diabetes wieder zurückzudrängen. Aber nicht nur ich, sondern auch ganz viele Diabetes-Betroffene profitieren von dieser optimistischen Grundeinstellung, die mein Vater sich bis in den kürzlichen Tod bewahrte.
Es war ein schweres Schicksal, das den damals Anfang 20jährigen traf: In Hitlers größenwahnsinnigem Rußlandfeldzug verlor er einen Fuß, der andere verkrüppelte in den Eisesstürmen. Dazu kam, dass sein Vater als Folge des Krieges früh starb, so dass er Verantwortung für seine Mutter, seine beiden jüngeren Schwestern übernehmen musste. Doch die Last der Verantwortung erdrückte ihn nicht, sondern beflügelte ihn.
Trotz seiner Behinderung übernahm er einen äußerst laufintensiven Beruf, war Personalchef der damals größten Stoffdruckerei Europas und legte pro Tag mindestens zehn Kilometer zurück, um für die Arbeiter permanent ansprechbar zu sein. Schmerzen hatte er immer, aber er klagte nie. Ein Wanderfreund sagte einmal zu ihm nach einem anstrengenden Marsch: „Ist das nicht Blut, was aus deinem Schuh läuft?“ Er lachte nur und sagte nur „Lass uns nach vorne blicken und weiterlaufen“.
Nicht, dass ich von dieser Einstellung immer begeistert war. Ja, es gab sogar oft Streit zwischen mir und meinem Vater über diese hohe Selbstdisziplin. Aber je älter er wurde, desto mehr imponierte mir diese Denkweise. Vor allem in den letzten Lebensjahren, wo aus dem tatkräftigen Mann ein Mensch wurde, der auf Pflege angewiesen war, half ihm sein positives Denken, mit den Gebrechen des Alterns umzugehen. „Danke“, war sein meistgebrauchtes Wort, „Danke, mir geht es gut“, auch wenn es ihm sichtbar nicht gut ging.
Es war mein Bruder Dieter, der ihn die letzten Jahre gepflegt hat (ich war leider viel zu wenig da), und der mich immer wieder um Rat fragte, wenn es um den „Zucker“ des Vaters ging. Mein schlichter Rat lautete: „Koch gut mit frischen Produkten aus unserer badischen Heimat, vor allem mit Salat, mit Gemüse. Lass den Zucker möglichst weg, aber drangsaliere den alten Mann nicht mit allzu strengen Regeln“. Also gab es immer das geliebte Fleisch, die Wurst, ab und zu was Süßes, regelmäßig ein Bier, einen Wein, einen Schnaps. Bekommen ist ihm das alles prächtig, sein Geist blieb rege, die Zuckerwerte waren einigermaßen in Ordnung, wenn sie aus dem Ruder liefen, halfen Medikamente, aber meistens klappte es auch so. Ganz überrascht war ich, dass er plötzlich darauf bestand, mit seinem Rollator auf der Terrasse seine ausgedehnten „Zuckerrunden“, wie er sie nannte, zu drehen: „Das habe ich in Deinem Buch gelesen, es hilft gegen den Diabetes“.
Noch im Mai feierte er seinen 87. Geburtstag, freute sich über die Besucher, unterhielt sich gerne mit ihnen. Besonders freute er sich, als ich ihm vor kurzem noch „Schönkost“ zeigen konnte. Er war stolz darauf, fragte aber besorgt, ob ich damit auch genug verdiene, um dann aber sofort mit dem Lesen anzufangen.
Laut gesprochen hat er die letzten Wochen nachts immer wieder, es klang fast, als ob er beten würde. In seiner letzten Nacht sprach er besonders laut, mein Bruder fragte ihn um kurz vor ein Uhr nachts „Ist alles in Ordnung, kann ich Dir helfen?“. Seine typische Antwort: „Alles bestens, danke“. Wenige Sekunden später war er tot.
Er starb, wie er lebte: Zufrieden.
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