„Der Diabetes-Manager“
FAZ
Heilpflanzen
18. Dezember 2006 Das Interview
Wächst im Urwald der Wunderstoff gegen Diabetes?
Forscht in Mexiko
Forscht in Mexiko
Dr. Helmut Wiedenfeld ist einer der anerkanntesten Forscher für natürliche Heilmittel gegen Diabetes. Der Apotheker mit Schwerpunkt pharmazeutische Chemie arbeitet am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn.
Wie kamen Sie auf die Beschäftigung mit zuckersenkenden Pflanzen aus dem Urwald?
Das war ein glücklicher Zufall. Ich hatte einen Artikel über die Nebenwirkungen von Alkaloiden, wie sie etwa im Beinwell vorkommen, in einer Fachzeitschrift publiziert. Daraufhin bekam ich eine Einladung aus Mexiko. Das war 1992.
Ist Diabetes in Mexiko überhaupt ein Thema?
Und wie! Gerade die indianische Urbevölkerung hat im Vergleich zu uns ein signifikant höheres Risiko an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Kommt die dann mit der McDonald´s- und Cola-Gesellschaft in Kontakt, explodiert der Lifestyle-Diabetes geradezu. Vor allem Cola halte ich für ein Riesenproblem. Die Leute sind geradezu süchtig nach der süßen Droge und in manchen Dörfern haben über 80 Prozent Diabetes.
Aber die Indianer kennen doch auch seit jeher gute natürlich Mittel dagegen.
Am Anfang stand ich dieser Medizin etwas skeptisch gegenüber. Aber nach inzwischen über zehn Forschungsreisen in den mexikanischen Urwald habe ich einen großen Respekt vor den Heilkenntnissen der Schamanen, die dort Curanderos heißen.
Was ist besonders beeindruckend?
Es sind zwei Dinge: Zum einen hat es in Mexiko über 5000 bekannte Heilpflanzen, und viele davon existieren nur dort. Im Vergleich dazu hat Europa gerade einmal 200 heilende Pflanzen. Zum anderen, und das ist genau so wichtig, wissen die indianischen Heiler, wie sie die Pflanzen auch aufbereiten müssen, damit sie nebenwirkungsfrei helfen.
Ist das wirklich so wichtig?
Aber ja. So wußten wir von einer Pflanze, daß sie zuckersenkend ist. Nur, wir konnten keinen Effekt feststellen. Erst als uns der Schamane sagte, wir müssen einen Kaltauszug herstellen, anstatt die Substanz heiß aufzubrühen, kamen wir hinter das Geheimnis, das wir dann schulmedizinisch erklären konnten. Wirksam sind Glykoside, die von der Hitze zerstört werden.
Welche Pflanzen von dort sind besonders wirksam?
An erster Stelle steht der Nopal-Kaktus. In seinen Früchten ist ein Stoff, der verhindert, daß die Kohlenhydrate in blutzuckersteigernde Glukose aufgespalten werden. Der Stoff wirkt ähnlich wie Acarbose von Bayer. Aber der Kaktus wirkt natürlich nur dann, wenn er vor dem Essen verzehrt wird, wie es die Indianer machen.
Dann gibt es die Cecropia, die hilft, Insulin freizusetzen, was eine direkte Blutzuckerwirkung hat. Cecropia steht für Ameisenbaum, weil die Pflanze in Symbiose mit Ameisen lebt. Inzwischen gibt es erste Kapseln, aber bis zu einem einsatzfähigen Medikament wird es noch Jahre dauern.
Ganz spannend ist auch die Rinde des Baumes Acosmium. In seiner Rinde ist ein Wirkstoff, mit dem sich die Wirksamkeit des vorhandenen Insulins erhöht. Damit greift er bei einer der Haupursachen für den Lifestyle-Diabetes an. Allerdings wächst der Baum sehr langsam, sodaß die Ausbeute ziemlich gering ist.
Aber das müßte unsere Pharmafirmen doch mächtig anspornen, solche Naturstoffe mit Ihnen zu isolieren und verfügbar zu machen.
Es ist leider das Gegenteil der Fall. Viele werfen uns Knüppel zwischen die Beine, wo sie können. Sie fürchten wohl, daß ein wirksamer Naturstoff mit deutlich weniger Nebenwirkungen gegen Diabetes auf eine hohe Akzeptanz der Patienten stoßen würde, was eigene Geschäfte gefährden könnte.
Warum wissen gerade die mexikanischen Heiler so viel über Naturstoffe?
Weil es dort eine jahrtausendealte Kultur der natürlichen Heikunst gibt, die von den verschiedenen indigenen Völkern angewendet wurde – und diese Kontinuität hat sogar die spanischen Konquistadoren überdauert, so dass diese immer noch in der tradierten Form vorliegt. Wir haben dort also eine Erfahrungsmedizin mit quasi generationenlangen natürlichen klinischen Studien.
Wie auch in der traditionellen chinesischen Medizin?
Leider ist es so, daß die traditionelle chinesische Medizin durch die Pogrome der maoistischen Diktatur eine massive Unterbrechung erfahren hat, sodaß wir heute viele Dinge nur aus 3000 Jahre alten Dokumenten erfahren, die wir aber oft falsch interpretieren, weil sich etwa Namen geändert haben. Am ehesten ist die Ayurveda-Medizin mit Mexiko vergleichbar.
Gibt es auch Frauen in Mexiko, die heilkundig sind?
Das ist auch ein Vorzug der indianischen Medizin, daß sehr viele Frauen sich auf traditionelle Medizin verstehen. Einige davon werden wie Heilige verehrt. Manche heißen übrigens wie auch bei uns Hexe. Wobei die mexikanischen „Hexen“ das Glück hatten, nicht verbrannt zu werden.
Nützt es dem Urwald, daß er wohl die größte natürliche Apotheke der Welt ist?
Ja und nein. Zum einen hilft es, Schutzprogramme für die Wälder aufzubauen. Zum anderen setzt aber teilweise ein massiver Raubbau an den heilenden Pflanzen ein. Vor allem die Amerikaner sind hier gnadenlos. Sie walzen mit dem Bulldozer ganze Wälder platt, nur um an die begehrten Pflanzen zu kommen. Ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Auf diese Weise ist auch die Pflanze ausgerottet worden, die von den Indianern zur Geburtenkontrolle benutzt wurde, und welche die Grundlage der Anti-Baby-Pille ist.
Glauben Sie noch, den Wunderstoff gegen Diabetes zu finden?
Davon träumt natürlich jeder Ethnopharmakologe, den ultimativen Hammer zu finden, der natürlich und nebenwirkungsfrei wirkt.
Wären dann die Diabetiker alle Sorgen los, könnten nur noch vor dem Fernseher sitzen und Schweinsbraten mit fetten Knödeln essen?
Einen Stoff, der das „leistet“, kann es gottseidank nicht geben. Auch die beste Diabetes-Medizin wirkt nur, wenn sich die Leute vernünftig ernähren und regelmäßig bewegen. Das gilt hier genauso wie in Mexiko.
Hans Lauber, München, 18. Dezember 2006
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