„Der Diabetes-Manager“
FAZ
Innovative Blutzuckermessung
28. August 2007 Das Interview
Warum steigern schnelle Zucker auch bei Gesunden den Blutzucker- und Insulinspiegel?
„Rasanter Zuckeranstieg nach Fast Food“: Dr. Guido Freckmann
„Rasanter Zuckeranstieg nach Fast Food“: Dr. Guido Freckmann
Dr. med. Guido Freckmann ist seit 1999 am Institut für Diabetes-Technologie in Ulm tätig, das in den 90er-Jahren unter Prof. Ernst Friedrich Pfeiffer Vorreiter bei der Entwicklung von Geräten für die kontinuierliche Gewebezuckermessung war („Ulmer Zuckeruhr“, die nicht auf den Markt kam). Unter Dr. Freckmann will das Institut an alte Glanzzeiten anknüpfen.
Wie kamen Sie dazu, bei Gesunden die Gewebe-, Blutzucker- und Insulinwerte nach Mahlzeiten zu messen?
Das war eine Studie in Kooperation mit der Glucose Monitoring Study Group im Auftrag der Firma Disetronic mit dem Hintergrund, Gewebezucker-Referenzwerte von Gesunden für die Therapie von Diabetikern zu haben.
Gibt es solche Studien bislang nicht?
Nach unserem Kenntnisstand sind bislang bei Gesunden nur sehr wenig Daten mit kontinuierlicher Gewebezuckermessung im Alltagsleben und nach unterschiedlichen Mahlzeiten erhoben worden.
Wer waren die Teilnehmer?
Es wurden 24 unter 35-jährige Personen ausgewählt, bei denen wir durch einen Oralen Glucose-Toleranztest sicher sein konnten, dass sie keinen Diabetes mellitus haben. Außerdem hatten alle Teilnehmer einen normalen BMI-Index, waren also nicht übergewichtig.
Was mussten die Probanden machen?
Insgesamt dauerte die Studie vier Tage. Davon mussten die Teilnehmer zwei Tage bei uns im Institut verbringen und morgens, mittags und abends zu festen Zeiten standardisierte Mahlzeiten zu sich nehmen. Die beiden restlichen Tage konnten die Probanden ihrem normalen Tagesablauf nachgehen.
Wie wurde gemessen?
Jeder Proband trug in den rund 100 Stunden, die der Versuch dauerte, permanent zwei Geräte, die den Gewebezucker kontinuierlich gemessen haben. Neben dieser Bestimmung des Gewebezuckerspiegels haben wir auch 16 x am Tag den Blutzuckerspiegel kapillär, also aus den Fingerbeeren, bestimmt. Pro Person kamen so über die vier Tage rund 6 000 Messwerte zusammen.
Warum dieser Aufwand?
Damit wollten wir sicherstellen, dass wir für jeden Probanden eine zuverlässige Zuckerkurve aus beiden Gewebezuckerkurven erhalten. Die Gewebezuckerkurven sind kalibriert und zusammengeführt worden anhand der kapillären Blutzuckermessungen. Anschließend wurden Mittelwerte für die gesamte Gruppe berechnet. Für die Frühstücksmahlzeiten der ersten beiden Tage wurden zusätzlich venöse Blutzuckerwerte zum Vergleich erhoben und ausgewertet.
Gibt es signifikante Unterschiede zwischen kapillärer und venöser Messung?
Es lässt sich sagen, dass die venöse Messung etwas höhere Zucker Werte ergibt und um bis zu ca. 5-10 min früher den maximalen Wert nach der Mahlzeit erreicht.
Wie waren nun die Ergebnisse nach den standardisierten Mahlzeiten?
Ich greife einmal eine Mahlzeit heraus, die besonders signifikante Unterschiede zeigte, nämlich zwei Frühstücke mit jeweils 50 Gramm Kohlenhydraten. Im ersten Frühstück waren es „schnelle“ Kohlenhydrate in Form einer süßen Milchreismahlzeit. Im zweiten waren es „langsame“ Kohlenhydrate im Wesentlichen Vollkornprodukte, wobei die Vollkorn-Kombination 750 Kilokalorien aufwies, während die schnelle Variante nur 270 Kilokalorien hatte.
Was passierte nach dem „schnellen“ Frühstück?
Nach dem „schnellen“ Frühstück erhöhte sich der Zuckerwert bei einzelnen Probanden rasant von rund 80 mg/dl vor dem Frühstück, auf bis zu 160 mg/dl bei einzelnen Probanden, mit einem Mittelwert von rund 130 mg/dl. Diese Anstiege traten sehr schnell auf und es lag ein signifikanter Unterschied zur langsamen Mahlzeit vor. Das Maximum war im Mittel nach rund 36 Minuten (venös) bis 43 Minuten (Gewebezucker) erreicht.
Rasante Kurven: Auswertungen der Studie
Rasante Kurven: Auswertungen der Studie

Wie verhielt sich das Insulin?
Um dieser Zuckerflut im Körper Herr zu werden, schütteten die Probanden sofort große Mengen des Hormons aus, und dies ziemlich zeitgleich zum Anstieg des Blutzuckers. Wir maßen ein mehrfaches des Ausgangswertes, wobei der Insulinausstoß auch rasch wieder in Richtung Ausgangsniveau sank.
Wie unterschied sich das „langsame“ Frühstück?
Signifikant. Die Anstiege des Blutzuckers bewegten sich im Mittel von 80mg/dl auf rund 100 mg/dl mit Peaks von maximal 120 mg/dl. Auch die Insulinausschüttung verlief wesentlich moderater, wobei es aber länger dauerte bis das Ausgangsniveau wieder erreicht war.
Haben Sie diese Ergebnisse nach dem Frühstück überrascht?
Nein, aus früheren Untersuchungen wissen wir, dass gerade das Frühstück eine besonders kritische Mahlzeit ist, weil es hier häufig zu starken Blutzuckeranstiegen kommt. Dabei sind im Vergleich zu den gesunden Probanden, mit denen wir es in dieser Studie zu tun hatten, die Ausschläge bei Diabetikern noch sehr viel höher, da werden schnell auch einmal Werte von über 200 mg/dl erreicht.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für das Ernährungsverhalten schließen?
Da möchte ich vorsichtig sein, weil der Stoffwechsel ein sehr komplexer Vorgang ist. Auffallend war aber, dass nach Mahlzeiten mit schnellen Kohlenhydraten der Blutzuckeranstieg signifikant höher ausfiel. Wenn man Blutzuckerspitzen, deren Auswirkung kontrovers diskutiert wird vermeiden will, sollte man Kohlenhydrate mit hohem glykämischen Index reduzieren. Die nächste Mahlzeit nach der schnellen Mahlzeit fiel tendenziell etwas reichlicher aus, was evtl. mit der Vormahlzeit zusammen hängt. Insofern ist die Aussage `Fastfood mästet´ sicher nicht falsch.
Begünstigen die Insulinausschüttungen auch den Typ-2-Diabetes?
Das vermuten viele Ärzte. Unsere Analysen haben gezeigt, dass auch der Körper der Gesunden viel Insulin ausschütten muss, um den Blutzuckerspiegel zu regulieren. Das kann aber auf Dauer zu einer Überforderung der Bauchspeicheldrüse und einer damit einhergehenden Insulinresistenz führen, was eine der Hauptursachen für die Ausbreitung des Typ-2-Diabetes ist.
Sind „schnelle“ Zucker somit ein negativer Doppelschlag für die Gesundheit?
Da ist etwas dran, denn zum einen können sie zur Gewichtszunahme beitragen, also dick machen, was eine wesentliche Ursache für den Diabetes ist. Zum anderen führen sie zu einer permanenten hohen Anforderung an die Bauchspeicheldrüse, die bei entsprechender Veranlagung zu einer Überforderung und damit zum Diabetes führen kann.
Macht es aus diesem Grund auch für Gesunde Sinn, den Blutzucker zu messen?
Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Aber im Sinne einer präventiven Diabetes-Strategie und eines langfristigen Gewichtsmanagements kann die Blutzucker-messung eine ganz neue Bedeutung bekommen. Es wundert mich, dass angesichts der volkswirtschaftlichen Dimension des Übergewichtes, des Lebensstil-Diabetes, was ja Milliardenausgaben bedingt, nur wenige Studien zu diesem Thema existieren.
Die Blutzuckermessung als Teil eines Lifestyle-Managements?
Warum nicht. Mit einer Ernährungsschulung und chicen Geräten, welche die Leute stolz auf den Tisch legen, nach dem Motto „Ich messe, ich weiß, ich handle“.
Im Dornröschenschlaf: „Ulmer Zuckeruhr“
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