„Der Diabetes-Manager“
FAZ
Stoppt die "Zucker"-Explosion!
20. Oktober 2010 Kolumne
Lauber´s Diabetes-Manifest
Auch 2010 werden wieder 300 000 neue Typ-2-Diabetiker in Deutschland diagnostiziert werden – im wesentlichen als Folge des ungesunden Lebenswandels. Schon heute verursachen die über zwölf Millionen Lebensstil-Diabetiker riesige Kosten, die in Kürze das Gesundheitssystem sprengen werden – wenn nicht endlich radikal gegengesteuert wird; und zwar gesellschaftspolitisch statt rein medizinisch. 10 Thesen weisen den Weg zur wirksamen Prävention.
1. Diabetes als Chance!
Als Schicksalsschlag fassen die meisten die Diagnose "Sie sind jetzt Typ-2-Diabetiker" auf. Das liegt auch daran, wie es ihnen die Ärzte "verkaufen", als eine schwere Krankheit. Dabei ist es meist nichts anderes als eine Stoffwechselstörung, die wiederum eine Folge des falschen Lebensstils aus zu viel, zu süßem, zu fettem Essen und zu wenig Bewegung ist. Ein Lifestyle, den ein Großteil der Bevölkerung "pflegt". Da aber rund 40 Prozent der Menschen eine genetische Disposition zum Diabetes haben, werden sie dann Lebensstil-Diabetiker. Das ist per se nichts Schlechtes, haben diese Leute doch einen besonders sensiblen Stoffwechsel, der ihnen rechtzeitig anzeigt, was der falsche Lebensstil im Körper anrichtet – ein positives Signal, das eine große Chance birgt: Sein Leben ins Gleichgewicht zu bringen – und zwar so, dass der Diabetes häufig ohne Medikamente verschwindet.
Vorschlag: Wer Typ-2 diagnostiziert wird, erhält folgende Broschüre: "Vom Glück, ein Diabetiker zu sein". Sicher, da schütteln die meisten den Kopf. Aber: Nur eine radikale Veränderung der grundsätzlichen "Diabetes-Denke" kann einen millionenfachen Wandel im Umgang mit dem Lebensstil-Diabetes bewirken.
2. Krankenkassen lieben Kranke
Das klingt provokativ, das klingt unverständlich – und doch ist es so: Die Krankenkassen betrachten Typ-2-Diabetiker vom Prinzip her nicht als potentiell Gesunde, sondern als behandlungsbedürftige Chroniker. Ein wichtiger Grund für diese Denkhaltung sind die an sich gut gemeinten Chroniker-Programme des Disease Managements (DMP). Weil sie fatalerweise mit dem "Risikostrukturausgleich" verknüpft wurden, ist es für die Kassen "lohnend", chronisch Kranke auszuweisen, denn das gibt mehr Geld aus dem Ausgleichstopf. Natürlich ist das langfristig eine Milchmädchenrechung, es hat aber dazu geführt, dass Prävention einen absolut untergeordneten Stellenwert bei den Kassen hat – wozu passt, dass nun sogar über die weitgehende Abschaffung der vorbeugenden Schulungsprogramme nachgedacht wird.
Vorschlag: Die Gelder aus den DMP-Programmen werden komplett in die Prävention gesteckt, denn wer nicht krank wird, braucht auch kein Management seiner "Disease", also seiner Krankheit.
3. Diabetologen sind keine Diabetes-Präventierer
Die Diabetologen sind die erste Adresse für Typ-1-Diabetiker, die dank den dieser Spezialisten mit ihrem Diabetes ein gutes Leben führen können. Auch für viele Typ-2-Diabetiker, deren Insulinproduktion eingeschränkt oder zum Erliegen gekommen ist (das, was früher auch einmal "Altersdiabetes" hieß), sind diese Ärzte die richtige Wahl. Nur, für die Millionen Lebensstil-Diabetiker haben diese Experten nicht die richtigen Antworten. Ihr Denken ist auf Kranke ausgerichtet, auf Medikamente – Prävention steht da nicht im Fokus. Prävention muss aber der Königsweg werden, wenn die Diabetes-Epidemie langfristig nicht nur begrenzt, sondern sogar eingedämmt werden soll. Dazu braucht es gesellschaftspolitische Interventionen, Verbote, neue Steuern – radikale Einschnitte, zu denen die Ärzte mit Ausnahme einiger weniger nicht bereit sind.
Vorschlag: Auf den vielen Diabetes-Kongressen/Veranstaltungen muss ein Rollenwechsel stattfinden: Neben den Ärzten gehören auf die Podien an führender Stelle endlich auch Psychologen, Ernährungswissenschaftler, Köche, Sportler und "siegreiche Lifestyle-Diabetiker".
4. Frühes Insulin schafft späte Kosten
In kaum einem europäischen Land verschreiben die Ärzte den Typ-2-Diabetikern so früh Insulin wie in Deutschland, obwohl der Körper den Blutzuckersenker häufig noch selbst produziert. Trotzdem sind die Diabetiker bei uns nicht "gesünder" – im Gegenteil: Denn das Hormon macht dick und Übergewicht ist eine der Hauptursachen des Lebensstil-Diabetes. Außerdem beendet der Körper dann in der Regel die eigene Insulinproduktion, so dass es heißt: Einmal Insulin, immer Insulin. Gerade diese Frühinsulinierung ist aber einer der wesentlichen Kostentreiber im Gesundheitssystem.
Vorschlag: Bevor die Kassen eine Insulinbehandlung bezahlen, muss zwingend eine ärztliche Zweitmeinung eingeholt werden, ob tatsächlich alle Möglichkeiten der Lebensstiländerung ausgeschöpft worden sind.
5. Wer sich nicht bewegt, zahlt
Unser Körper ist auf tägliche Bewegung ausgerichtet – nur dann funktionieren alle Organe im Takt, bleibt der Zucker im Lot. Unsere Gesellschaft verbannt aber Bewegung aus dem Alltag durch Autos, Bahnen, Rolltreppen, Aufzüge. Zu diesen direkten Bewegungsverhinderern kommen aber noch indirekte – und hier in erster Linie die elektronischen Medien. Sie fesseln vor allem junge Leute für Stunden vor Monitore – und halten sie vom Toben und Spielen ab. Hier könnte eine von den elektronischen Medien zu zahlende "Inaktivitätssteuer" greifen, eine Idee, die bereits diskutiert worden ist. Als weiteres Problem kommt hinzu, dass sich immer mehr muslimische Schüler aus religiösen Gründen vom Sportunterricht befreien lassen. Da könnte folgende Regel greifen: Werden diese Schüler später zu Lebensstil-Diabetikern, müssen sie einen Großteil der Behandlungskosten selbst tragen. Selbstverständlich gilt diese Regel auch bei allen anderen "Bewegungsverächtern."
Vorschlag: Da Schulbusse die Kinder von der Bewegung abhalten, befördern sie indirekt den Diabetes. Deshalb werden (soweit es die Sicherheit zulässt) alle Schulbusse radikal abgeschafft und die jungen Leute laufen oder radeln in die Schule wie früher, wo es auch keine jugendlichen Typ-2-Diabetiker gab.
6. Wer nicht misst, kann nicht handeln
Auch wenn die herrschende Diabetologie diese Korrelation gerne anzweifelt: Ohne die eigene Messung des Blutzuckers gibt es keine eigenverantwortlich handelnden Diabetiker – und nur diese "Selbst-Heiler" werden in der Lage sein, die millionenfachen Diabetes-Fälle signifikant nach unten zu drücken. Denn "Zucker" tut nicht weh, überhöhte Werte sind nicht zu spüren. Erst wer misst, weiß, wo er steht, kann dann handeln, etwa seine Ernährung umstellen. Wobei gerne argumentiert wird, die bloße Messung des Blutzuckers bringt nichts. Das stimmt, denn die Messung ist kein "Medikament", wie viele glauben, sondern ein "Aktivator"; einer, der auch der schlanken Linie dient, denn häufige massive Blutzuckeranstiege nach dem Essen, sind Vorboten des Dickwerdens.
Vorschlag: Wer durch eine regelmäßige Messung seines Blutzuckers die Basis für eine veränderte Lebensweise aus intelligent Essen und Bewegung legt und damit seine Blutzuckerwerte verbessert, bekommt die Kosten für die Teststreifen von der Kasse erstattet. Wobei die Kosten der Streifen sicher noch "Luft" nach unten haben.
7. Natürliche Zuckersenker wirken
In der Volksheilkunde hatten sie einen hohen Stellenwert, heute sind sie weitgehend vergessen (oder vergessen worden), die natürlichen pflanzlichen Blutzuckersenker, wie etwa Bockshornklee oder Brennesseln. Das liegt vor allem daran, dass es keine klassischen Medikamente sind, die sofort wirken, wie etwa orale Antidiabetika. Das heißt aber nicht, dass sie im Rahmen eines eigenverantwortlichen, auf Medikamentenfreiheit zielenden Umgangs mit dem Lebensstil-Diabetes unwirksam sind. Sie wirken sanfter, wirken wie Katalysatoren, welche die eigenen Anstrengungen unterstützen, wie beispielsweise der Bockshornklee, der das Insulin besser wirken lässt. Aber auch schlichte Lebens-Mittel können zu einer guten Blutzuckereinstellung beitragen, wie etwa Sauerkraut, das als Resorptionsverzögerer wirkt, also die Kohlenhydrate der Nahrung nicht so schnell ins Blut schießen lässt.
Vorschlag: Da sich diese bewährten Pflanzenstoffe nicht patentieren lassen, rentiert sich für Pharmaunternehmen die Forschung nicht. Deshalb müssen staatliche Institute, wie es sie schon in den USA gibt, die Weiterentwicklung und Analyse dieser vergessenen Heilmittelschätze übernehmen.
8. Wer Zucker verkauft, wird zur Kasse gebeten
Unser Leben ist durchsüßt. Über 30 Kilo Zucker verbraucht jeder Deutsche durchschnittlich im Jahr. Diese Zuckermassen sind ein wesentlicher Verursacher der grassierenden Diabetes-Epidemie – auch wenn die Industrie, aber auch viele Experten diesen Zusammenhang immer wieder bestreiten. Einfach deshalb, weil unser Stoffwechsel auf so viel Zucker nicht vorbereitet ist – und deshalb massenhaft Insulin ausschüttet, um die süßen Fluten zu bändigen. Damit wird zum einen permanent die Bauchspeicheldrüse überfordert, wo das Insulin produziert wird. Das führt aber vor allem zu einer Gewichtszunahme breiter Bevölkerungsschichten, da Insulin ein Dickmach-Hormon ist. Und Übergewicht ist die Hauptursache für den Typ-2-Diabetes. Dramatisch ist die Entwicklung bei uns, katastrophal ist sie in Ländern wie Mexiko, arabische Emirate und China, wo der Industriezucker die traditionelle Ernährung verdrängt – und der Diabetes die neue Pest ist.
Vorschlag: Ein Großteil des Zuckers wird "versteckt" konsumiert, etwa als Ketchup, aber vor allem als Süßgetränk. Von sich aus wird die Industrie nicht bereit sein, auf die süßen Verführer zu verzichten. Deshalb wird eine "Sweet-Tax" kombiniert mit einer "Fat-Tax" erhoben. Das Geld wird dann in Präventionsprogramme gesteckt.
9. Fast Food macht fett. Schnell
Wie ein Masterplan zum Dickwerden liest sich das Konzept der Fast-Food-Industrie: Viele schnelle Kohlenhydrate in pappigen Brötchen, in zuckrigem Ketchup, in Desserts, in Süßgetränken. Viel Fett in Würsten, ungesunde gesättigte Fette aus Fritteusen. Und dieses "Süße Fett" wird dann meist auch noch schnell heruntergeschlungen, oft im Stehen, so dass so etwas wie eine geordnete Mahlzeit mit ihrer strukturierten Nahrungszufuhr nicht entstehen kann. Immer mehr Jugendliche werden so frühzeitig auf einen künstlichen Surrogat-Geschmack dressiert, der sie das Echte als das Falsche verachten lässt. Hier können Schulküchen mit benotetem Kochunterricht für Buben und Mädchen Abhilfe schaffen, einschließlich obligatorischen Schulgärten, wo Gemüse und Salat von den Schülern selbst angebaut werden müssen – was auch für Bewegung sorgt.
Vorschlag: Fast Food wird einer "Fat Tax" unterworfen, bestimmte Angebote wie "All You can eat", gewisse Maxi-Size-Angebote werden verboten.
10. Schlemmen wie ein Diabetiker
Gefühl und Härte, das muss die Devise der Diabetes-Prävention werden. Zur Härte gehören Verbote (mit dem Rauchen klappt das ja auch so langsam!), gehören Steuern auf Süßes, Fettes, Inaktivität förderndes, gehören Sanktionen, etwa in Form höherer Kassenbeiträge für notorische Präventionsverweigerer.
Auf der anderen Seite gehört aber zwingend dazu die Vision "Der Lebensstil-Diabetes ist eine Chance". Und zwar eine Chance auf wunderbare Gemüse-, Fisch- und Fleischgerichte (etwa Fett verbrennendes Wild), auf in Maßen getrunken sanfte natürliche Zuckersenker wie trockene Weine. Die Menschen müssen lernen, ihren Diabetes nicht als Feind zu hassen, sondern als Teil ihrer selbst zu akzeptieren. Nur dann besteht die Chance eines tief greifenden Bewusstseinswandels.
Vorschlag: Die vielen Fernsehköche werden in ihren Endlosschleifen (vor allem im öffentlichen Staatsfernsehen) angehalten, bewusst auch auf die gesundheitlichen Wirkungen ihres Kochens einzugehen. Nur der bekennende Lebensmensch Vincent Klink darf weiter kochen, wie er will.
Hans Lauber hatte vor zehn Jahren nach einer aufreibenden Managertätigkeit in der Fernsehindustrie mit einem ungesunden Lebenswandel einen manifesten Typ-2-Diabetes, den er Lifestyle-Diabetes nannte. Er besiegte diesen Diabetes durch "Messen, Essen, Laufen", die "Lauber-Methode", die von Ärzten als eine Diabetes-Therapie empfohlen wird. Seine Erfahrungen und Empfehlungen fasste er in den Bestsellern "Fit wie ein Diabetiker" und "Schlemmen wie ein Diabetiker" sowie dem Ernährungsbuch "Schönkost" zusammen.
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