„Der Diabetes-Manager“
FAZ
Typ-2-Diabetes: Kassen empfehlen Insulin
14. November 2013 Kolumne 
Spritzen statt Sprinten
Hormonfabriken: Tierisches Pankreas war die erste Insulin-Quelle
Hormonfabriken: Tierisches Pankreas war die erste Insulin-Quelle
Ein Segen ist Insulin für Typ-1-Diabetiker. Aber die Politik der Kassen führt dazu, dass auch Typ-2-Diabetiker das Hormon spritzen, die es medizinisch nicht bräuchten – was schaden kann. Prävention, etwa durch Bewegung, fördern die Kassen weniger. Das Insulin-Kartell aus Kassen und Pharmas
Ein bahnbrechender medizinischer Durchbruch gelang 1921 dem kanadischen Arzt Frederick Banting: Er isolierte das Hormon Insulin, etwa aus dem Pankreas von Schweinen oder Rindern. Mit seiner Entdeckung rettete der spätere Medizinnobelpreisträger Millionen Menschen das Leben. Denn bis zu diesem Zeitpunkt bedeutete die Diagnose Typ-1-Diabetes den Tod auf Raten.
Weil der Körper durch eine Autoimmunreaktion seine Insulin-produzierenden Zellen weitgehend zerstört, kann der lebenswichtige „Brennstoff“ Kohlenhydrate nicht in die Zellen geschleust werden – ein qualvolles Leiden beginnt. Das ist gottseidank Geschichte. Heute können Typ-1-Diabetiker und Typ-2-Diabetiker, deren Insulin-Produktion altersbedingt nachlässt (der berühmte „Alterszucker“), dank der Insulin-Spritze ein praktisch normales Leben führen. Überwiegend gilt dabei: „Ich esse, was ich will – und was zu viel ist, spritze ich weg“.
Ein heikles Motto, wie ich merke. Denn als ich für einen Kochvortrag Diabetologen nach der richtigen Ernährung bei Typ-1-Diabetes frage, staunen die – und ich merke: Diese Ernährung gibt es nicht! Es wird in der Tat alles „weggespritzt“, was dazu führt, dass inzwischen sehr viele Typ-1-Diabetiker übergewichtig werden – und zusätzlich einen Typ-2-Diabetes entwickeln, was die Wissenschaftler „Double Diabetes“ nennen. Es wäre also sinnvoll, auch die Typ-1-Diabetiker endlich über gesunde Ernährung zu informieren.
Insulinpumpen senken Insulinmenge
Wer als Typ-1-Diabetiker generell weniger Insulin verbrauchen will, für den sind Insulinpumpen eine gute Hilfe. Denn „sie können den Insulinverbrauch um bis zu 25 Prozent senken“, wie mir der Lübecker Diabetologe Prof. Dr. med. Morten Schütt erläutert. Ein wenig bekanntes Faktum, das ich aber für wichtig halte, denn viele vergessen, dass Insulin ein Medikament ist – und je weniger davon gebraucht wird, desto besser, weil das Hormon auch Nebenwirkungen hat. Allerdings sind die Pumpen mit über 3 000 Euro ziemlich teuer, und es dauert einige Jahre, bis sich über die Insulineinsparung das Gerät quasi von selbst amortisiert – weshalb die Kassen Pumpen nur bei speziellen medizinischen Indikationen bezahlen, obwohl sie das Leben vieler Diabetiker stark erleichtern.
Insulin-Weltmeister Deutschland
Wesentlich großzügiger reagieren die Kassen, wenn es um das Verschreiben von Insulin für Typ-2-Diabetiker gibt – was der renommierte Münchner Diabetologe Prof. Hans Hauner in meinem Buch „Zucker zähmen“ kopfschüttelnd konstatiert: „Mich ärgert die häufig frühe, übertriebene Insulinbehandlung bei Typ-2-Diabetes in Deutschland. Wir haben dreimal so viel Insulinbehandlungen wie in Frankreich und den Niederlanden – und trotzdem sind die Diabetiker, gemessen am HbA1c-Wert, nicht besser eingestellt“.
Eine verstörende Erklärung, warum Deutschland Insulin-Weltmeister ist, liefert Prof. Bertram Häussler im „Monitor Versorgungsforschung 06/2011“, aus dem ich in „Zucker zähmen“ zitiere: „Der Verbrauch von Insulin hat in der Gesetzlichen Krankenversicherung zwischen 1997 und 2009 um 132 Prozent zugenommen. Dieser als Insulinierung bezeichnete Anstieg lässt sich nicht mit einer entsprechenden Zahl an Typ-2-Diabetikern erklären. Es zeigt sich, dass der Anstieg vor allem während der Implementierung des Disease Management Programms (DMP) stattfand. Dabei ist der verstärkte Einsatz von Insulinen in der Behandlung von Typ-2-Diabetes nicht unbedingt zwingend. Dennoch gibt es Gründe, warum das Programm diese Entwicklung mit gefördert haben kann. Im Zeitraum von zwölf Jahren ist die Zahl der mit Insulin versorgten Typ-2-Diabetiker um knapp eine Million Patienten angewachsen“.
Katastrophale Kassen-Leistung: Insuliner „dank“ DMP
Offensichtlich gibt es eine sehr große Zahl von Typ-2-Diabetikern, die Insulin spritzen, ohne dass sie aus medizinischen Gründen unbedingt gebraucht hätten. An die Nadel gebracht wurden sie durch die DMP-Programme, die ursprünglich zur besseren Diabetes-Versorgung initiiert wurden. Aber gerade beim Typ-2-Diabetes ist die Einleitung einer Insulin-Therapie mit besonderen Risiken verbunden, die ich auf Seite 123 von „Zucker zähmen“ erläutere. Ein heftig diskutiertes Kapitel. Aber ein Kapitel, das ich zusammen mit Ärzten geschrieben habe, und das nun bereits in der zweiten Auflage erschienen ist, ohne dass ich Einwände gehört hätte.
Insulin kann dick und dement machen – und Krebs auslösen
Kurz zusammengefasst lauten die Nebenwirkungen: Insulin ist ein Masthormon, das zu Gewichtssteigerungen von bis zu zehn Kilo führen kann – und Übergewicht ist eine wesentliche Diabetes-Ursache. Überspitzt lässt sich sagen, das Insulin schafft sich seine eigene Anwendung. Dieses Phänomen hängt damit zusammen, dass die meisten Typ-2-Diabetiker genügend eigenes Insulin haben. Nur wirkt es nicht mehr richtig, etwa weil viele Patienten zu dick sind. Die Wissenschaftler nennen das: Eine herabgesetzte Insulin-Sensitivität.
Unterzucker ist ein stark unterschätztes Problem des Insulins. Denn wenn durch das Spritzen der Blutzucker unter einen gewissen Wert sinkt, wird das Gehirn nicht ausreichend mit Glukose versorgt – was zu Demenz führen kann. Fakt ist leider auch, dass „vor allem das hohe Insulin im Verdacht steht, Krebszellen wachsen zu lassen“, so Prof. Hans Hauner.
Statt Entschuldigung – dumm gelaufen
Aufrüttelnde Fakten sind das – und doch interessiert sich niemand wirklich dafür, entschuldigt sich niemand. Das merke ich, als ich den Chef der Vorsorgeprogramme einer großen Krankenkasse nach der Analyse von Prof. Häussler frage, dessen Berliner IGES-Institut vor allem für Kassen und den Gesetzgeber arbeitet: Wirklich bestritten wird der Sachverhalt nicht, da heißt es lauwarm „das waren halt noch laufende Strukturprogramme“ oder „da haben wir nicht so genau hingeschaut“. Und als ich immer noch keine Ruhe gebe: „Alles Vergangenheit“.
Sicher, der ganz dramatische Anstieg der spritzenden Typ-2-Diabetiker durch diese Programme ist gestoppt. Trotzdem finde ich es arg billig, wenn so eine gravierende Fehlentwicklung nach dem Motto dumm gelaufen vom Tisch gewischt wird, vor allem weil die Frühinsulinierung gesundheitliche Schäden verursachen kann.
Auch sind große Kosten entstanden, denn bei Insulin-Tagestherapiekosten von rund 2,60 Euro, wie sie in „Zucker zähmen“ zu Grunde gelegt werden, ergibt das pro Diabetiker einen jährlichen Betrag von rund 1 000 Euro. Hochgerechnet auf geschätzte einige Hunderttausend „DMP-Diabetiker“ ergibt das eine Summe von einigen hundert Millionen Euro – und das jahrelang. Denn einmal Insulin bedeutet in der Praxis immer Insulin. Diese Beträge werden von den Kassen klaglos erstattet. Die gleichen Kassen, die bei der für die Diabetes-Prävention so wichtigen Messung des Blutzuckers die erforderlichen Teststreifen kaum noch erstatten.
Alles Zufall oder Methode? Ebenfalls in „Zucker zähmen“ wird Prof. Hauner mit dem Satz zitiert: „Für die Einleitung einer Insulintherapie wird der Arzt vergütet. Für die Erziehung zur Änderung des Lebensstils erhält er kein Honorar“. Das passt zur Aussage der Diabetes-Stifung DDS, die ebenfalls in „Zucker zähmen“ sagt: „Für die langfristige Behandlung der Lebensumstellung bekommt der Arzt praktisch keine Vergütung“.
Krankenkassen lieben Kranke
Statt also auf Prävention zu setzen, um die Diabetes-Epidemie endlich zu stoppen, präferieren die Krankenkassen immer noch Kranke, wie Dr. Jens Baas, Chef der Techniker Kasse, in einem Gespräch mit der „FAS“ vom 7. Juli 2013 freimütig erklärt: „Viele Kassen sind aufgrund der Logik des Kassen-Finanzausgleichs kaum mehr motiviert, einen Diabetiker gesund zu halten. Am besten ist es, wenn der Diabetiker auf dem Papier durch alle möglichen Komplikationen wie ein besonders schwerer Fall aussieht. So werden falsche Anreize gesetzt“. So werden weiter die Medikamente präferiert. So schnell werden die Kassen ihre Vergangenheit nicht los!
„Prävention hat keine Lobby“, schreibt die Diabetes-Stiftung in „Zucker zähmen“. Die Pharma-Industrie hat eine Lobby, eine mächtige. Besonders mächtig ist die Insulin-Industrie, die weltweit von drei Pharmafirmen dominiert wird. Firmen, die strikt darauf achten, dass möglichst niemand ihre Kreise stört. Das erlebte auch ein mittelständisches deutsches Medizinunternehmen, das von einem amerikanischen Unternehmen eine Insulinfabrik im benachbarten Ausland übernehmen wollte. Alles war unterschrieben, alles wurde plötzlich gecancelt. Zu groß war die Angst, dass das lukrative Insulingeschäft gestört werden könnte. Ein Geschäft, das gerade in Deutschland auch ganz groß auf „Kassen-Rezept“ gedeiht.
Mögen sich: Kassen und Pharmas
Dass Kassen und Pharmaindustrie in der Tat enger verbandelt sind, als gemeinhin angenommen, macht ein Zitat des hellsichtigen Düsseldorfer Diabetologen Prof. Stephan Martin deutlich. Er schreibt im „Diabetes-Journal“ 11/2013 über meine Methode, mit der es für sehr Viele möglich ist, den Typ-2-Diabetes auch ohne Medikamente zu besiegen: „Seine Methode ist eine Innovation, die aber aktuell im Gesundheitswesen aufgrund der Nähe von Krankenkassen und pharmakologischer Industrie nicht umsetzbar ist. Seiner Methode gehört jedoch die Zukunft“.
Ob ich diese Zukunft noch erlebe?
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